Eine der großartigen Einsichten des Deutschen Idealismus ist die: Mit Freiheit ist es uns ermöglicht, unseren Charakter zu vervollkommnen.
Charakter ist ein Resultat aus a) Entscheidungen und b) Anstrengung soll das heißen. Die gute Charaktereigenschaft – mit dem alten Wort „Tugend“ benannt – ist ein zur Gewohnheit gewordenen fester Vorsatz, so bestimmt es Immanuel Kant. Jede Tugend (löbliche Charaktereigenschaft) hat eine Geschichte: Es gab den Tag, an dem der Wert dieser Tugend eingesehen wurde. Sagen wir bspw. dass ich aufhöre zu lügen, ehrlich werden. An diesem Tag wurde der feste Vorsatz gefasst: Ich werde aufhören zu lügen; fortan bin ich ehrlich. Dies war die Entscheidung. Die Anstrengung liegt in der Tat, welche von an bestimmt über Erfolg oder Rückschritt. Ehrlich werde ich nicht durch Entschluss. Tugenden wachsen auf dem Rücken von Taten. In jeder Situation, in welcher ich fortan stehe, stelle ich an mich die Anforderung: Sei ehrlich. In diesem Selbstverhältnis – mich nach meinem Vorsatz zu bewerten – liegt die Anstrengung. – Ab einem unbestimmten Punkt in der Zukunft dann kann ich dann sagen (vorausgesetzt: ich war konsequent), dass ich ein ehrlicher Mensch bin, dass ich ehrlicher geworden bin, dass Ehrlichkeit nun Teil meines Charakters ist.
Grundsätzlich gilt im Leben: Man kann sich hingeben oder sich selbst bestimmen.
Hingeben heißt: passiv-sein, sich fallen lassen, andere machen lassen, sich unterordnen, sich treiben lassen. Kräfte an die man sich hingeben kann sind innerliche und äußerliche.
Innerliche Kräften, denen ich mich hingeben kann: der Lust, der Begierde, der Bequemlichkeit, den Impulsen, den Trieben, der Gewohnheit, der Müdigkeit.
Äußerliche Kräfte, denen ich mich hingeben kann: den Sachzwängen – Geld verdienen; Prozesse in die Wege leiten; tun, was getan werden muss und dergleichen -; den Pflichten in der Familie, den Erwartungen der anderen, den stillschweigenden Geboten meiner Mitmenschen – Klappe halten, nicht politisch werden, bloß nichts über diese oder jene Menschengruppe sagen, immer fair bleiben.
Sich selbst bestimmen heißt: jene Kräfte, die auf Gehorsam oder Befriedigung drängen, etwas persönliches entgegensetzen. Die eignen Überzeugungen, die eigenen Werte, die eigenen Tugenden steuern dann selbst. Selbststeuerung findet eine Balance zwischen der Überlegung und der Berücksichtigung von Zwängen und innerlichen Kräften.
Die Freiheit, die wir selbst sind, zeigt sich hier in der Distanz, die wir einnehmen können. Ich kann auch ganz anders, heißt das. Ich kann aus der passiven Haltung des Bestimmt-Werden-Wollens durch innerliche und äußerliche Kräfte ausbrechen. Dadurch verschwinden sie nicht. Aber ich gewinne Selbstmacht zurück. Nicht jeder Impuls steuert mich, nicht jede Meinung meiner Mitmenschen hat mich in der Hand.
Die Freiheit mir eine Richtung zu geben: Mir den Stern, dem ich folge, selbst auszusuchen.