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Das beste, was wir aus uns machen können

Als ich die Schule verließ (mit Fachoberschulreife) wusste ich nicht, was Tugend war. Weder konnte ich sagen, was das sein soll, noch war ich aus glücklichem Zufall tugendhaft. Ich kannte zwar diesen Horror-Film über die Todsünden (David Fincher, „Sieben,“ 1995) und fand ihn faszinierend – aber das Wissen über das Pendant zu den Lastern ging mir völlig ab. Einmal, in der Schlange im Eingangsbereich der Disco redete ich mit meiner Begleitung über Tugend. Ich fragte ihn, was er unter dem Wort verstehe und meinte, vielleicht sei Geld ja eine Tugend. Auch er wusste nicht, was Tugenden seien; dass Geld aber sicherlich keine sei, das könnte er mir aber sagen. Das war auch schon alles, was wir darüber sagten.

Kürzlich habe ich für die Schüler, die ich wegen COVID vom Computer aus unterrichte, ein Erklärvideo zur Philosophie von Sokrates produziert. In meinen Vorarbeiten dafür konnte ich viel über Tugenden erfahren. Es heißt, dass es Sokrates‘ Lieblingsthema gewesen sei zu fragen, was das Beste ist, das der Mensch aus sich machen kann. Ich muss ihm zustimmen, das ist wirklich eine faszinierende Frage. Es ist ja sicher, dass die Art der Existenz, die wir jetzt führen, einmalig ist. Und ebenso sicher ist, dass das Streben in unserer Brust nach Sinn, Erfüllung und Ausfüllung mit dem Guten trachtet. Da ist es doch angebracht zu fragen, was denn das Beste ist, was wir aus uns machen können.

Sokrates Antwort ist kurz gefasst die: Andauerndes Recht-Tun ist das Beste, was wir machen können. Das Bemühen darum, von allen Optionen die tugendhafteste zu wählen, das sollte wir fortwährend und unablässig uns abfordern. Das ist die „Pflege der eigenen Seele.“ Wir kultivieren uns, arbeiten uns innerlich durch und ordnen uns selbst, wenn wir überlegt, gemäßigt, tapfer und gerecht handeln. In seiner praktischen Philosophie läuft alles in einem Punkt zusammen: die Tugend. Andauerndes Recht-Tun, sich um die Tugend bemühen und Tugend erwerben – das bedeutet im Grunde alles dasselbe.

Für Wortliebhaber (Philologen) wie mich ist immer spannend, wie sich Übersetzungen ergeben. Das Lateinische „virtus – die Vorlage für unsere „Tugend“ – ist die Übersetzung des griechischen „arete.“ Wegen der Gleichbedeutung lässt „virtus“ viele Menschen an Männlichkeit, Mannhaftigkeit denken. Obschon die gute Tat und die Tugend einen Mann auszeichnet – anders als das bloße Wort -, ist die enge sachliche Verknüpfung von Tugend mit Männern aber wohl in die Bedeutung hineingelegt. Arete – also das Wort, das Sokrates höchst persönlich benutzt hat, um über Tugend zu reden – ist ins Deutsche übersetzbar als Bestheit oder Gut-Sein. Es soll das Gute an allen guten Dingen zusammenfassen. Ein beliebtes Beispiel, um den Sinn dieser abstrakten Denkweise zu erläutern, ist die Gutheit eines Pferdes: Gute Pferde haben einige Eigenschaften gemeinsam; fasst man sie zusammen, dann spricht man über die Gutheit von Pferden (die arete von Pferden). Ähnlich bei guten Stiften – die Gutheit eines Stiftes (die arete eines Stiftes) ist dann: er ist leicht und kann in allen Lagen schreiben usw. – So haben die Griechen auch über Menschen geredet. Die arete eines Menschen: Das Beste, was er auch sich machen kann. Das, was allen guten Menschen gemeinsam ist.

Das Beste, das ich aus mir machen kann: Tugend erwerben und tugendhaft leben. Hier ist gefordert, dass ich mich ganz um mich kümmere: Um die Verfeinerung meines Charakters; um die Art, wie ich mit anderen umgehen; um mein Verhältnis zu Welt. Sokrates sagt uns, dass wir Acht geben sollen: Auf das, was wir aus uns machen.

Für einen Beginner in der Lebensphilosophie taugt das als Einstieg, um sich durchzuarbeiten und seine Taten gedanklich aufzuarbeiten. Die Übung ist die folgende. Denke zur üblichen Zeit an einen tugendhaften Menschen und frage dich: Und was machst du aus dir? bzw. Und was mache ich aus mir?

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