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Über den Fortschritt auf dem Weg zur Weisheit

In der stoischen Weisheitstradition gibt es einen Namen für diejenigen, welche weise werden wollen: Die Fortschritt-Machenden (griechisch: Prokoptoi). Den Fortschritt-Machenden wird empfohlen: Seid Achtsam und bedenkt die Dichotomie der Kontrolle. Je öfter diese Übungen – welche wir in den vorigen Blog-Beiträgen kennen gelernt haben – praktiziert werden, desto öfter ist man auf sich selbst zurückgeworfen. Auf sich selbst zurückgeworfen sein ist hilfreich, denn dann erfährt man die eigene Existenz. Wir werden fähig, uns zu uns selbst zu verhalten.

Indem wir zwischen Unverfügbarkeit und Selbstmächtigkeit unterschieden lernen, können wir von dem einen ablassen und uns dem anderen zuwenden.

Frei nach Epiktet

Auf uns selbst zurück – auf unsere Existenz – werfen uns diese Übungen, weil wir in diesen Meditationen erkennen, dass das Kontrollierbare allein in uns liegt. Wir sind der Quellpunkt aller möglichen Veränderung. So kann ein Wandlungsprozess angestoßen werden: Dass man seinen Charakter entwickeln möge. Charakterentwicklung ist das Kennzeichen von einem, der Fortschritt macht – darin sind sich die Stoiker einig. Die entsprechenden Tugenden, die angestrebt werden sollen, werde ich unten ansprechen.

Zunächst möchte ich ausdrücklich auf einen Irrtum zu sprechen kommen, den auch ich als Anfänger in der Philosophie der Stoa gemacht hatte. Dieser Irrtum besteht darin, dass man die Dichotomie der Kontrolle allein und ausschließlich nach der externen Seite der Unverfügbarkeiten hin fokussiert und in sein Handeln einbaut. Ich meinte (irrigerweise), Gelassenheit gegenüber den Sachen, die ohnehin geschehen und die mich deshalb nichts angehen, das genüge, um Fortschritte zu machen. Tatsächlich half es: Stoische Gelassenheit ist – um es in altbackener Sprache zu sagen: – ein köstlicher Gemütszustand. Die Wahrheit ist aber, dass der Weg zur Weisheit es ebenso abfordert, dasss man an sich selber arbeite. Arbeit an einem Selbst fokussiert die Seite der Kontrollierbar, also das, was man selbst beherrschen kann. Es fordert ab, dass man sich kultiviere, Selbstkontrolle ausübt. Selbstkontrolle über die eigenen Impulse, Wünsche, Antriebe und so weiter.

Reinhold Niebuhr, ein amerikanischer Theologe, hat den stoischen Wunsch ein weiser Mensch zu werden, in einem weltberühmten Gebet gefasst:

Gott, gebe mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann,

den Mut Dinge zu ändern, die ich ändern kann,

und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.

Reinhold Niebuhr, The Serenity Prayer (Deutsche Übersetzung)

Drei Tugenden werden in diesem Gebet gepriesen und herbeigesehnt: Gelassenheit, Mut und Weisheit. Die Gelassenheit ist jener Gemütszustand, der den Stoikern als Schlüssel für ein ungehemmtes Leben gilt: Unerschütterlichkeit, Gleichmut. Mut und Weisheit sind Tugenden, deren Einsatzgebiet ebenfalls universell ist: Mut ist der Wille sich für die Wahrheit auch mal eine Beule zu holen, Weisheit die Fertigkeit eine kluge Wahl zu treffen.

Mut, wie er hier das Thema ist, ist nicht die Tapferkeit eines Soldaten. Es ist die Tapferkeit eines Menschen, der sich nicht selbst belügen will.

Es bedarf mehr Mut, in die dunklen Seiten der eigenen Seele zu blicken, als ein Soldat Mut braucht, um auf dem Feld zu kämpfen.

William Butler Yeats (Deutsche Übersetzung)

Die stoische Philosophie ist eine No-Bullshit-Philosophie. Was taugt der Fortschritt in der Philosophie, wenn er nicht praktisch wird? fragt Epiktet. Mut zu haben, sich selbst zu ändern, das ist die Ansinnen eines Menschen, der zugibt, dass er noch nicht fertig ist. Dieser Mensch ist zur Transzendenz fähig: er weiß, dass seine gegenwärtige geistige Gestalt, sein Mind-Set ihm selbst schadet und arbeitet an einer Erneuerung.

Weisheit ist letztlich die (nie ganz und gar verwirklichte) Fertigkeit, stets das richtige Urteil zu fällen. Richtig ist ein Urteil natürlich im Zusammenhang mit der Dichotomie der Kontrolle. Der weise Mensch, so wie als Vorbild angestrebt wird, weiß in jeder Situation, was unverfügbar ist und was kontrollierbar. Er ist vollkommen achtsam und wendet die Dichotomie der Kontrolle mühelos an.

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