Dieser Beitrag soll die bisherige Reihe zur Lebensphilosophie der Stoiker unterbrechen, um die Rede von Praktischer Philosophie zu präzisieren.
Ich befasse mich seit 16 Jahren professionell mit der Philosophie, wie sie an Universitäten gelehrt wird. Das Bild der Philosophie, das von der Universität (in Form von Vorträgen, Kongressen, aber auch Büchern) in die Öffentlichkeit gestrahlt wird, ist: Philosophen sind Begriffsarbeiter, Detailanalysen, Dispute auf einem höheren Level des Denkens. Philosophiert wird hier weitgehend theoretisch, um andere zu überzeugen. Die Art des Philosophierens ist oft abstrakt, ohne Veranschaulichung, abgetrennt von lebensweltlichen Erfahrungen. Dieses Bild wird ergänzt durch Philosophie, wie sie in den Medien erscheint: etwa im Schweizerischen Fernsehen „Sternstunde Philosophie“ oder in der Zeitschrift „Philosophie Magazin.“ Hier werden eher praktische Themen erörtert. Praktisch bedeutet hier eben: die Art und Weise wie Menschen in der Welt (zusammen oder einzeln) wirken. Praktische Themen können sein: Der Klimaschutz, die Solidarität, Abtreibung. Was Philosophierend zu solchen Themen gesagt werden kann, betrifft ganz allgemein das Richtige und Falsche und das, was getan werden soll, getan werden muss und getan werden darf. Es geht hier um Recht, Pflichten, Verpflichtungen und ethische Abwägungen. Hierzu gehört natürlich auch die Theorie, auch um andere zu überzeugen.
Diese grobe Skizze des Bilds der (praktischen) Philosophie soll verdeutlichen, dass Philosophie meistens als Argumentation betrachtet wird: Als Unternehmen, ein Weltbild oder ein System von Erkenntnissen, gegen mögliche Einwände abzusichern und andere davon zu überzeugen, dass es zutreffend und richtig – oder zumindest besser als die Alternativen – ist. Das ist Philosophie als Aussage und Argumentation.
Die Praktische Philosophie, welche in den Lebensphilosophien (z. B. dem Stoizismus) zum Ausdruck kommt, ist zu vielleicht drei Teilen Aussage und Argumentation und zu sieben Teilen Einübung.
Die Theorie der Lebensphilosophie ist das, worüber wir uns verständigen und austauschen können. In diesem theoretischen Bereich spielt Wahrheit und Falschheit eine Rolle; das, was wir sagen, stimmt mit der Realität überein oder nicht. Im Bereich der Praxis der Lebensphilosophie hat Aussage und Diskussion keinen Platz und Wahrheit und Falschheit sind irrelevant.
Praktische Philosophie im Sinne der Lebensphilosophie ist eine gelebte Philosophie. Und Philosophie wird praktisch im Sinne der Lebensphilosophie, wenn ein Mensch sich entscheidet nach (s)einer Philosophie zu leben.
Gelebte Philosophie ist das stete Bemühen darum, in Taten – also praktisch – umzusetzen, was als Richtig und Gut erkannt und gelehrt wurde. Gelebte Philosophie setzt das Wort in die Tat um, harmonisiert zwischen Wünschen und Wollen, gleicht Absichten und Handlungen einander an, setzt Vorsätze in Routinen um. Sie versucht die Theorie Praxis werden zu lassen.
Das, was die gelebte Philosophie damit ins Werk setzt – die Praxis: Tat, Wille, Handlung, Routine -, kann nicht sinnvoll in den Dimension zutreffend (wahr) oder unzutreffend (falsch) bewertet werden. Die Hinsichten, nach denen gesagt werden kann, ob die lebensphilosophische Anstrengung wirklich wurden sind: Geglückt / Fehlgeschlagen; Gelungen / Verfehlt; aufrichtig / blass; eifrig / lax.
Zusammenfassend sei gesagt: Eine Philosophie in sein Leben einzubauen – gelebte Philosophie -, das wird weder medial noch Universität gelehrt. Für dieses Handwerk braucht unsere Kultur die Niesche der Persönlichkeitsentwicklung so wie sie in Workshops und Retrievs (z. B. Wochenend-Entspannungskursen) angeboten wird. Hier wird praktisches Wissen an die Hand gegeben (Knowing How) und eine Gemeinschaft geboten, in welcher dieses Wissen ausprobiert werden kann. Innerhalb dieser Niesche verorte ich auch die Idee der Philosophischen Praxis. Sie ist ein Ort und eine Gelegenheit, Philosophie zu lernen.