In diesem Beitrag möchte ich auf ein Lehrstück des Philosophen Platon zu sprechen kommen, das „Der Seelenwagen“ heißt. Um das einzuführen, beginne ich aber ganz woanders, und zwar beim Begründer der Psychoanalyse: Sigmund Freud. Bis auf ihre Genialität haben beide, Platon und Freud, nicht viel gemeinsam. Ihrer beiden Ausführungen über die seelischen Regungen und die Selbstkontrolle sind erstaunlich realistisch und ähneln sich aber. Wir werden von beiden lernen, was es heißt, sich zu kontrollieren.
Über die Gedanken Sigmund Freuds
Lehrbuchartig erhalten hat sich von Freud ein modellhafte Konzeption der seelischen Erregung, welche in ihren Grundzügen als Dreiteilung dargestellt wird:
Über-Ich | Ich | Es.
Dieses Modell verdeutlicht Instanzen, auf deren Wirken menschliches Verhalten zurückzuführen ist. Verhalten, das auf das Über-Ich zurückzuführen ist, ist ein solches, das auf die Einhaltung sozialer Normen (auf Konformität) bedacht ist. Das Über-Ich verkörpert das (verinnerlichte) Gewissen. Verhalten, das auf das Es zurückzuführen ist, das ist triebhaftes, unüberlegtes, impulsives Verhalten. Das Es verkörpert das Lustprinzip. Verhalten, das auf das Ich zurückzuführen ist, ist ein solches, für das es Gründe gibt, ein Verhalten, das begründet wird durch die Person. Das Ich verkörpert die Rationalität.
In uns, so Freud, gibt es tagein tagaus eine dynamische Anpassung zwischen diesen Instanzen: Wird die (anonyme) Stimme des Gewissens aktiv, so haben wir es mit der Auseinandersetzung von Über-Ich und Ich zu tun:
Über-Ich <-|-> Ich | Es
Freuds Idee ist, dass diese Art der seelischen Dynamik der Grund für neurotische Gefühle wie Angst oder Zweifel ist. Ein Beispiel: Ich begehre den Ehepartner meines besten Freundes. Ich fühle also erotische Gedanken (Es), aber diese Gedanken darf ich nicht haben („sagt“ das Über-Ich). Im Ich entsteht so ein Konflikt zwischen den Antrieben (Es) und den sozialen Normen (dem Über-Ich). Dieser Fall sollte allein der Veranschaulichung des Modells dienen. Mit solchen Dynamiken wollen wir uns aber nicht weiter beschäftigen.
Was ich mit Freud erklären will – um es dann auch bei Platon zu zeigen – ist die Dynamik des Kampfes zwischen Rationalität und Lustprinzip. Es ist Frühling. Viele Menschen streben nach einer Art von Diät, damit der Bauchspeck für das Sommer-Outfit verschwinde. Dieser bewusst gewählte Wunsch bzw. dieser bewusste Vorsatz gerät aber leicht in Konflikt mit der verbreiteten Lust auf Zucker – konkreter: Schokolade. Dieser Fall ist im Modell Freuds:
Über Ich | Ich <-|-> Es
Wir können diesen Schokoladenwunsch, der drängt, der das Bewusstsein belagert, verallgemeinern. Im ES als psychischer Instanz sind alle Arten des Begehrens und Drängens zu Hause. Nicht von ungefähr spricht man hier von Trieb, Impuls, Begierde, Lust. Diese Neigungen streben jeweils nach Kontrolle. Sie würden sich auch ohne Überlegung manifestieren. Das Ich und das Über-Ich sind psychische Instanzen der Hemmung und der Kanalisierung dieser Triebe. Das ES selbst ist wie ein brodelnder Vulkan, der unterhalb der bewussten Kontrolle durch das Ich kocht. Ab und zu stößt ein Lavaschwall zur Oberfläche.
Die populäre Philosophie zu Sigmund Freuds Lebenszeiten war ein Rationalismus. Die reine Rationalität sei imstande, alle seelischen Regungen zu kontrollieren. Das Ich ist frei und kann sich eigene Ziele setzen. Das Ich ist letztlich der Herr der Welt. Dazu benötige man Entbehrung, Kraftanstrengung und Wille. Sigmund Freud hat aber als Psychiater andere Erfahrungen gemacht. Er hat erblickt, dass das Ich mitunter von Affekten und Phantasien gestört wird; mitunter kann es sich sogar selbst auflösen. Das Ich ist nicht die alleinige bewegende Kraft in uns; menschliches Verhalten ist auch auf andere Kräfte bzw. die Kombination dieser seelischen Quellen zurückzuführen.
Seine Lehre von den multiplen Kräften im Menschen (Gewissen, Lustprinzip, Rationalität) hat letztlich eine neue Epoche der Sicht auf den Menschen eingeleitet. Epochemachend fasste Freud es zusammen:
„Das Ich ist nicht Herr im eigenen Haus.“
Sigmund Freud
Dieser Gedanke richtet sich einerseits gegen den populäre Rationalismus; unser Verhalten hat auch irrationale Quellen. Anderseits ist dieser Gedanke auch eine Kampfansage an die hohe Philosophie des Deutschen Idealismus, nach welcher der Geist des Staates und der Kultur vom endlichen Bewusstsein getragen wird.
Freud richtet sich gegen die rationalistische und idealistische Auffassung, dass das wache Bewusstsein (welches Ich sagt) in jeder Minute seines Lebens der Herr über den Leib und die Affekte ist. Träumen, sagt Freud, ist eine vom Ich unkontrollierte Tätigkeit eines Seelenteils, welcher im Schlafzustand des Leibes die Überhand nimmt. Ein anderes Gegenbeispiel ist der Mensch, dessen Leben durch das neurotische Gefühl der Schuld eingeschränkt wird. Hier nimmt das Gewissen die Überhand.
Über die Rede von der Seele
Das Ich (die Rationalität) ist ein Teil der Seele, ein Teil unter anderen. Selbstkontrolle ist die Steuerung durch das Ich. Übernehmen die übrigen Teile die Kontrolle über das Handeln, je auf ihre spezifische Weise, so erleben wir das als Einschränkung der Kontrolle oder gar als Fremdkontrolle. So sprechen wir davon, dass das Gewissen uns Grenzen setzt; dass das Über-Ich uns kontrolliert hören wir selten. Entsprechend reden wir davon, dass der Trieb Überhand genommen hat; er hat das klare Bewusstsein ausgeschaltet. Wir kommen darauf zurück.
Dem geneigten Leser ist sicherlich aufgefallen, dass die Rede von der Seele hier etwas arglos benutzt wird, so als ob wir es für ausgemacht hielten damit eine reelle Größe zu thematisieren. Als aufgeklärte und an den wissenschaftlichen Diskurs der Nachmoderne angeschlossene Menschen hören wir diese Dissonanz sofort. In der Psychologie wird die Rede vom Ich und von der Seele deshalb auch nicht mehr gepflegt. Man erklärt, das Fach beschäftige sich mit dem menschlichen Verhalten und Erleben, sowohl subjektiv als auch unter Personen, und zwar über die gesamte Lebenszeit hinweg. Ich und Seele sind Redeweisen, die von einer vor-wissenschaftlichen Beschäftigung mit psychologischen Prozessen herrühren.
Als Philosoph finde ich mich damit ab, dass der Fachbereich und das Wissensgebiet „Psychologie“ sich profiliert und absetzt gegen vermeintliche Missverständnisse. In der Philosophie ist es nicht anders gewesen. Auch hier setze ich die Rede von der Seele ab gegen konfessionelle (religiöse) Auffassungen davon, was das bedeutet. Es sind eben die Fortschritte in der Philosophie über die Jahrhunderte, die bewirkt haben, dass man dem Seelenglauben der Konfessionen mit Ablehnung begegnet.
Wenn ich aber philosophiere, dann rede ich wie selbstverständlich von der Seele. Ich meine damit ein Chiffre **, das ist ein Wort, das hinweist auf etwas für unsere Existenz entscheidendes. Der Platz des Seelischen in der Welt ist die unabstreitbare Selbstbewegung beseelter Körper und das subjektive Erleben (von sowohl innerlichen als auch äußerlichen Signalen) in der Perspektive der ersten Person. Die Seele lebt weiter, wenn ich schlafe. Das Ich ist in die Seele eingegliedert – als Software, so wie eine eine Aufmerksamkeit-App, die bewirkt, dass alle perzeptiven Informationen auf eine zentrale Instanz hin (Ich) angeordnet erfahren werden (Prinzip der Einheit unserer Erfahrung). Die Seele ist das Sammelwort für die Belebtheit und die Bewusstheit, für das Selbstgefühl und das Innenleben. Seele umfasst Kognition (Gedanken, cognitio), Emotion (Gefühle, emotio), Volition (Handlungsimpulse, Wille, volitio), Begehren (Trieb, Lust, libido), Vorstellung (Einbildung, Repräsentation, Imaginatio) und Erinnerung (mnemosyne).
Als Philosoph werde ich der Seele nicht die Realität absprechen. Ich habe auch keine Furcht vor der Meinung anderer, die mich der Irrationalität bezichtigen werden, weil ich ich ein Wort aus vorgegangener Zeit gebrauche. Ich vertrete damit überhaupt keine Theorie oder eine Religion. Ich mache mir nur deutlich, dass ein einzelner, beliebiger Mensch in Bezug auf seine Innerlichkeit allen anderen Menschen strukturell ähnlich ist. Es gibt ja nicht ein Ich und Milliarden andere Du. Wir sind alle ein Ich. So wie der Vollmond sich in tausend Wassern spiegelt, so ist eine Seele in allen von uns. Wir alle haben je für uns selbst Empfindungen, aber das Empfindung-Haben ist allen gleich. Wir alle haben je für uns Vorstellungen, aber die Vorstellungsfähigkeit ist allen gemeinsam. Und so für alle andere seelisch-geistigen Vermögen. Wir sind alle von einer Art.
Antikes Verständnis von Seele (Psyche)
Um nachzuvollziehen, was der Philosoph Platon unter der Seele (Psyche) versteht, möchte ich das antike Verständnis in Erinnerung bringen. Seele ist das Prinzip der Eigen- oder Selbstbewegung. Alles in der Welt ist in Bewegung – so beobachteten „die alten Griechen.“ Einige Dinge bewegen sich von selbst, andere werden von anderen Dingen bewegt. Die, die sich nur bewegen, wenn sie angestoßen werden, finden irgendwann einen Ort der Ruhe. Dinge, die sich selbst bewegen, sind beseelte Dinge.
Seele wird nicht weiter erklärt als etwas unstoffliches, als warmer Hauch oder Lebenskraft. Als beseelt gilt, was lebt. Pflanzen, Tiere, Menschen sind daher beseelt. In den Pflanzen ist es das Wachstum, in den Tieren die Bewegung von Ort zu Ort. Menschen haben eine spezielle Seele, eine solche, die pflanzliches und tierisches mit dem spezifisch menschlichen – dem Verständigen in uns – vereint.
Warum setzten sich Tiere in Bewegung? Was bewirkt, dass ein Tier seine Knochen, Sehnen und Muskeln so einsetzt, um von Ort A nach Ort B zu kommen? Warum läuft das Huhn über die Straße? – Das Huhn läuft über die Straße, weil es denkt, es sei eine gute Idee. Schon Hühner haben so etwas wir Phantasie, Vorstellungskraft – es ’sieht‘ auf der anderen Straßenseite einen Anreiß, deshalb läuft es los. Das ist das Seelische im Huhn.
Wir erfahren wir Menschen Seelisches? Wir erfahren es 1.) als die Grundstimmung in der wir uns befinden. Von gereizt bis ausgelassen, von depressiv bis manisch; Grundstimmungen sind der emotive Grundbass unserer Existenz. 2.) Seelisches ist der innere Antrieb, den wir verspüren. Es ist die Vitalität, die uns Pläne angehen lässt, der Eifer, den wir verspüren, das Aktivitätslevel. Es ist hier auch zu nennen: das Begehren nach Nahrung, die Geilheit, die Lust, die Triebe. 3.) Seelisches Erfahren wir als Lebenskraft; als die Gesundheit, die den ganzen Leib durchströmt. 4.) Wir erfahren Seelisches als die Gemütslage, die wir haben. Das ist ganz stark schon im Aspekt 1 enthalten. Die Grundstimmung kann sich über Monate ausdehnen. Die Gemütslage ist zeitlich noch stärker ausgedehnt. Langmütig, Frohmütig, Langmütig sind Gemütszustände, die in den Charakter eines Menschen eingegangen sind. 5.) Wir erfahren Seelisches, als das, was lebt, auch wenn wir schlafen.
Das platonische Gleichnis vom Seelenwagen
Platon verdeutlicht die Struktur der Seele – Die Antriebskräfte und die Zentralsteuerung – in Form eines Gleichnisses.**** Man muss wissen, dass Platon ein Schriftsteller-Philosoph ist, dessen Genialität durch seine Textkomposition, Metaphorik und Wortwahl durchscheint. Die Seele des Menschen, sagt er, gleich einem Gespann mit zwei Rössern. Das eine Ross ist das Pferd des Eifers (griechisch: thymoeides), das andere das Pferd der Begierde (griechisch: epithymetikon). Gelenkt wird das Gespann von der Vernunft (griechisch: logistikon).
| Exkurs: Im Internet hat es sich ergeben, dass man stets diese Zeichnung zeigt, welche dem DTV-Atlas Philosophie entnommen ist.

Die Zeichnung ist noch begleitet von einer falschen Benennung der Pferde. Es heißt im DTV-Atlas, dass das eine Ross das Pferd des Mutes sei. Das ist aber irreführend, weil nicht der Mut als Tugend, sondern das Gemüt als Seelenteil gemeint ist. Exkurs ENDE |
In meinem Platon-Video, das ich für Schüler gemacht habe, spreche ich ab Minute 18:05 von diesem Gleichnis. Die beiden Rösser vertreten zwei Arten von Impulsen. Der Impuls des Eifers macht uns mitunter rasend, wir streiten dann für die gute Sache, unsere Seele brennt dann für eine Sache. Der Impuls des Begehrens macht uns strebend, wir wollen dann leidenschaftlich. Die beiden Impulsarten – das ist die weitere Idee – schränken unser klares Denken ein. Der Eifer versetzt uns in überwertiges Denken, eine Idee setzt sich in den Vordergrund unseres Denkens. Die Begierde lässt uns alles Maß vergessen. Der Lenker ist die Rationalität, die Klugheit, die Vernunft. Sie kann die Pferde zügeln und überblickt die Strecke, die der Wagen fährt. Es ist klug, Begierde und Eifer für sich so arbeiten zu lassen, dass sie uns unsere Ziele erreichen lassen. Unklug ist die Zügellosigkeit.
Ich persönlich schätze dieses Gleichnis wie kein anderes. Das liegt vielleicht daran, dass ich Eifer und Begierde in mir gut auseinander halten kann und weiß, was passiert, wenn ich ihnen zügellose Kontrolle über die Wegstrecke erlaube. Ich erfahre aber immer wieder, dass andere dieses Gleichnis schwergängig auffassen.
Platon erklärt hier die Selbstbewegung der Seele. Die beiden Antriebe in uns, sagt er, sind grundsätzlich Eifer und Begierde. In moderner Sprache gesprochen: Störungen des Antriebs hat der, dessen Begierden und dessen Eifer krank sind. Die Vernunft, welche zwar ein Seelenteil ist, kann aus sich heraus keine Antriebe setzen.
Zur Begierde. Ähnlich formuliert finden wir diesen Gedanken bei David Humes berühmten Aphorismus: „Der Wunsch ist Vater des Gedankens.“ Soll heißen: Erst kommt die Begierde nach Essen (Hunger), dann kommt der Plan, essen zu beschaffen (Rationalität). Die Begierden machen uns strebend, sie machen uns aktiv, sie machen, dass wir in die Welt gehen. Wenn wir begehren, wollen wir die Sachen in der Welt verzehren. Das Objekt der Begierde lässt uns es nachjagen, es lockt uns. Unser Denken ist dann auf das Objekt fixiert. Die Begierde beherrscht uns ganz, unser Denken, unser Überlegen und Planen. Das gilt für die Begierde des Hungers ebenso wie für die Begierde der Geilheit. Platon spricht hier von Impulsen und warnt davor, dass wir die Kontrolle verlieren. In moderner Sprache: Impulskontrollstörungen sind Krankheiten der Seele.
Zum Eifer. Auch der Eifer ist ein Antrieb in uns. Eifer – dieses Wort kennen viele nicht. Sich ereifern für etwas – das kennt man noch. Im Eifer des Gefechts – das ist eine Redensart. Und tatsächlich meint Platon jene gesegnete Wut, die uns rasend macht. Er meint den Aggressionstrieb in uns, den wir haben, wenn wir uns für etwas einsetzen. Man männlichen Politikern währ hat männlichen Politiker, die auf einer Bühne stehen und sich ein wichtiges Wortgefecht liefern, Messgeräte an die Haut geklebt, um ihre Muskelspannung zu messen. Während des Gefechts waren die Muskelgruppen aktiv, die sonst zum starken Schlag ausholen. Die Kultur und die Zivilität der Politiker macht, dass sie sich nicht schlagen; unser Eifer aber aktiviert trotzdem die Muskeln, die wir bräuchten. Platon meint auch das Gefühl des Soldaten im Feld, der sich hergibt für den Kampf. Er meint mit Eifer zudem jenes Zürnen über die Welt, die wir im Kampf der Gerechten für eine bessere Welt beobachten. Den Eifer der politischen Aktivisten, die man bei den Social Justice Worrier, oder den Black Live Matter, oder den Me Too-Aktivisten sehen kann, sind die besten Beispiele.
Platons Genialität zeigt sich auch darin, dass er mit dieser leicht einprägsamen Analyse der Seele gleichzeitig zwei Lebensklugheiten verbindet. Zum einen: Nutze deine Antriebe. Zum anderen: Halte deine Antriebe im Zaum.
Halte deine Antriebe im Zaum. Die Klugheit, die Platon anführt betrifft die Grenze, welche man nicht überschreiten sollte. Begierde und Eifer müssen genutzt werden, sonst verkümmern sie. Bloß bedenken sollte man dabei die Gefahren. Die Gefahren der Begierde liegen im Übermaß. Zu viel Essen (Esssucht) ist ungesund, zu viel Sex ermattet. Die Lust will dann stets gesteigert werden. Das Lustprinzip in uns fordert stets mehr. Die Gefahren des Eifers bestehen in der Überwertigkeit. Das Eifern lässt uns unsere Pflichten vergessen. Wir werden über den Eifer ungerecht.
Nutze deine Antriebe. Bedenke, Eifer und Begierde sind deine einzigen Antriebe. Lässt du sie verkümmern, dann führst du vielleicht eine rationale, aber keine vollkommene Existenz.
Seinen Eifer kultiviert man mit Wertschätzung. Seine Begierden kultiviert man mit maßvollem Genuss.
Steuerung durch Balance
Die Selbstkultivierung der Antriebskräfte Eifer und Begierde ist ein bedeutendes Thema der Tugendethik. Selbstteuerung gelingt durch den überlegten Einsatz des Eifers und den überlegten Genuss der Sinne und der klugen Auswahl unter den Trieben und Impulsen. Platon ist ein Philosoph der Harmonie. So wie der Kosmos in einer Harmonie steht, sollte auch die Seele ihre Teile in eine Harmonie bringen. Charakterbildung, so wie wir sie verstehen, ist die Herstellung von Balance zwischen Eifer, Begierde und Vernunft.
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Anmerkungen:
** Das Wort „Chiffre“ benutze ich hier im Sinne von Karl Jaspers.
**** Gemeint ist die Stelle in Platons Phaidros (253c ff.). In der Poiteia beschreibt Platon die Drei-Struktur der Seele mit einem anderen Gleichnis, und zwar dem Gleichnis des Seelentieres. Siehe dazu online: Hans G. Müsse, Platons Seelenlehre.